Titel: Tiiiefer Blick in (m)ein Murano-Glas, heute auf Sylt fotografiert
Im Jahr 1976, auf meiner zweiten Interrail-Tour durch Europa, kam ich mit dem berühmten Nachtzug „Simplon-Express“, von Paris kommend, morgens in Venedig an. Mit den bewährten Freunden von der letztjährigen Europa-Reise – und unter bewährten Konditionen: Für die 30-tägige Reise brachte jeder von uns Vieren DM 300,- mit, womit Alles(!) zu bestreiten war: Verpflegung, Unterkünfte, Hygiene, Extras. Pro Tag und Kopf also DM 10,-. Das konnte nur funktionieren, wenn es uns entweder gelang, in Nachtzügen unterzukommen (in Sitzwagen, versteht sich…), alternativ standen nur supergünstige Campingplätze zur Debatte, gerne auch Nächte am Strand.
Im Jahr vorher waren wir von Paris aus über Bordeaux und Irún nach Lissabon gefahren, diesmal sollte es nun nach Griechenland gehen, mit Zwischenstopps in Venedig und dann einer Nacht im „Akropolis-Express“ bis Athen.
Mit anderen Worten: Venedig sahen wir eher als notwendigen Zwischenstopp denn als Ort zum Sightseeing an. Ankommen, ein wenig rumschlendern… und möglichst bald weiterfahren, war es doch vorrangig der sonnige Süden Europas, der uns lockte. Eine Vaporettofahrt oder ein Essen wäre im Reise-Etat ohnehin nicht drin gewesen.
In meinen recht schwachen Erinnerungen dominieren die Gerüche recht übel riechender Kanäle, die viel zu vielen Touristen – und Schaufenster mit zauberhaften, jedoch extragalaktisch teuren (Murano-)Gläsern.
Achtundvierzig Jahre später ist die Ausgangslage für meine Venedig-Reise eine komplett andere: Seit Jahren schon zählt auch dieses Ziel zu meinen Wunschkandidaten in dem Bestreben, Orte und Landschaften meiner frühen Europatouren noch einmal aufzusuchen. Die Idee dazu habe ich von keinem Geringeren als dem Literaturnobelpreisträger John Steinbeck („Jenseits von Eden“, „Die Straße der Ölsardinen“), der in seinem Buch „Meine Reise mit Charly“ von einer derartigen Erinnerungstour berichtet, die er mit seinem Hund Charly in einem Wohnmobil unternimmt – von der amerikanischen Ostküste zurück nach Kalifornien. Was für ein großartiges Buch!
Es ist schon verblüffend, wie andersartig die Eindrücke nach einer derart langen Zeitspanne herüberkommen. Was in erster Linie mit viiiel mehr Wissen, Vergleichsmöglichkeiten und auch Reiseerfahrung zu tun hat. Das Wissen zum Beispiel, welch‘ einmalige Perle diese Stadt selbst in weltweitem Maßstab darstellt. Zum Anderen wegen ihrer Probleme, die wir auf Sylt ja auch kennen, wenn auch in vergleichsweise kleinerem Maßstab: 1. die Bedrohung des Lebensraumes durch den steigenden Meeresspiegel, und 2. den überbordenden Tourismus – der die Einwohner massivst vertreibt und Venedig in letzter Konsequenz zu einem touristischen Vergnügungspark mutieren läßt: Venedig ist Sylt diesbezüglich deutlich voraus und hat gerade das „Eintrittsgeld“ von € 5,- auf € 10,- erhöht.
Als unsere Freundin und „Merret reicht’s!“-Chefin Birte vor sechs Wochen bei einem Gläschen Wein von ihren Plänen sprach, für einen Monat nach Venedig zu fahren, schien es mir wie ein Wink des Schicksals, ist es doch für den Alleinreisenden im Ausland immer ganz nett, sich auch einmal mit jemandem auszutauschen. Insbesondere, wenn sich die diesbezüglichen Interessen in Teilen ähneln…
Last, but not least wollte ich auch unbedingt die Glasbläser-Insel Murano besuchen…