Als ich heute früh kurz nach 6:45 Uhr aus den kalten Fluten steige, ist mir erstmals so richtig herbstlich zumute. Die Sonne hat sich bislang noch nicht durch die Wolken gekämpft, der Wind bläst stark und ruppig aus dem Nordwesten und tatsächlich überschauert mich ein Frösteln, das auch noch anhält bis ich wieder zuhause bin.
Vormittags schaue ich mir den Westerländer Nordstrand an, also den Bereich vom Übergang „Seenot“ bis zur Asklepios-Klinik:
Und mir kommen Erinnerungen hoch an die katastrophale Sturmflut vom Februar 1962 – diese zählt zu meinen frühesten Erinnerungen, was die Naturkräfte der Nordsee angeht. Bis zur ehemaligen Seenotstelle waren die Dünen Westerlands durch allerlei Beton, Klinker, Basalt und Ashalt gesichert, nördlich davon hatte das Meer nicht nur -zig Meter an Dünenbreite geholt, es war sogar an einer Stelle durchgebrochen, um von dort bis ins Stadtzentrum Westerlands zu fließen – immer entlang eines alten „Urstromtals“ im Geestkern, das sich von hier bis in den Bereich des Bahnhofs erstreckt.
Noch vor Ende der 1960er Jahren wurde, beginnend bei der Seenot, eine ca. einen Kilometer lange Tetrapodenkette gebaut, die noch heute gut sichtbar ist:
Allerdings absichtlich nicht(!) an den Dünenfuß, wie es sich heute darstellt, sondern mehr als 10 Meter davor, damit überschlagende Wellen die Dünen nicht direkt erreichen konnten.
Der damals in den Sand implantierte Tetrapodenwall…:
… ragte im Folgenden locker drei bis vier Meter über den Strand auf, schien also zunächst ein guter Schutz vor weiteren Dünenabbrüchen zu sein.
Mittelfristig trat jedoch eine unerwünschte Entwicklung ein: Getreu der (eigentlich schon uralten) Erkenntnis, daß Strände vor Abbruchsküsten nur von dem Sand erhalten bleiben können, der stetig aus den Abbrüchen hinzukommt, verschwand der Strand vor der Tetrapodenkette. Wobei „verschwinden“ heißt, das sein Niveau um Meterbeträge sank, bis das Fundament der Tetrapoden (Aspalt/Steinschüttungen und sandgefüllte Leinensäcke) freigespült wurde und bald Tendenzen zeigte, aufgrund der Unterspülungen zur Seeseite abzukippen – inklusive der darauf gestapelten Tetrapoden. Diese wären dann, ihrer Gründung beraubt, innerhalb weniger Jahre im nassen Sand eingesackt und längst in diesem verschwunden. Womit weiteren Dünenabbrüchen und -durchbrüchen Tür und Tor geöffnet worden wäre.
Als die „Rettung in letzter Minute“ entpuppten sich die ab 1972 regelmäßig durchgeführten Sandvorspülungen, die durch die um mehrere Meter erhöhten Strände nicht nur dafür sorgten, daß der Tetrapodenwall über die Jahrzehnte erhalten blieb, sondern auch das Dünenwachstum (sowohl in die Höhe als auch gen Westen(!)) förderten: Da das Meer selbst an stürmischen Tagen den hohen, vorgespülten Strand nicht mehr überfluten konnte, konnte der Wind abertausende von Tonnen Sand in die Dünen wehen, die dadurch tatsächlich begannen, sich gen Westen zu verbreitern und zu erhöhen – wie es heute von vielen Sylter Strandübergängen aus zu sehen ist, besonders gut zwischen Westerland und Rantum übrigens.
So erklärt sich auch, warum die Tetrapoden heute direkt am Dünenfuß liegen, teilweise sogar schon komplett übersandet sind.
Das Ganze funktioniert zukünftig natürlich nur bei weiterer Sandzufuhr durch weitere Sandvorspülungen. Würden diese gestoppt, bräuchte es nur wenige Jahre, und die Malaise nähme wiederum ihren vorbestimmten Verlauf. Insbesondere in Zeiten zunehmenden Meeresspiegelanstiegs.
Klar ist allerdings auch, daß – einige Jahrzehnte weiter in die Zukunft geschaut – der Meeresspiegelanstieg die Kosten für diese Art von Küstenschutz bald exponentiell in die Höhe treiben wird, wirkt sich doch jeder Millimeter des Anstiegs an sandigen Küsten gravierend aus.
Übrigens: Vor dem Zeitalter der Sandvorspülungen lag das Strandniveau direkt vor der Seenot (in nachfolgendem das Schwimmerhäuschen) um mehr als fünf Meter niedriger heute. Bei jeder normalen Flut war der komplette Strand überflutet – und damit auch das Aufstellen von Strandkörben nicht möglich: