Im Jahr 1975 erhielt mein Vater eine Geschenksendung mit drei Flaschen Wein vom Niersteiner Weingut Heyl zu Herrnsheim. Als wir den „1971er Niersteiner Brudersberg Riesling Spätlese“ Wochen später verkosteten, glaubten wir unseren Geschmachssinnen nicht zu trauen: Als ausgemachte Liebhaber von Rheingauer Weinen schrieb man in jenen Zeiten der Rheinhessischen Konkurrenz eine lediglich untergeordnete Rolle zu. Weine von der anderen Seite des Rheins, dazu zählten auch die Kreszenzen von Nahe, Ahr und aus der Pfalz, galten als schlichtweg zweitrangig. Lediglich die Anhänger des „Moselweins“ wurden mit mattem Lächeln geduldet.
Und nun das: Der Heylˋ sche Brudersberg aus dem Jahrhundertjahrgang 1971 überraschte mit einem schwelgerischen Riesling-Bouquet von geradezu vernichtender Dichte. Mit hohem Extraktgehalt gesegnet, dabei kontrapunktisch von gnadenlos trockenem Ausbau, hinterließ dieser Wein auch beim mehrmaligen Umherspülen über die gespannten Geschmacksnerven nur positivste Assoziationen – mit anderen Worten: Ein wahrer Meister oder schlichtweg ein Zauberer hatte diese Offenbahrung kreiert, daran bestand nicht der geringste Zweifel!
Der Magier (und Visionär!) hieß Peter von Weymarn. Und ich sehe mich noch mit ihm im Herbst des nächsten Jahrhundertjahrgangs 1976 durch den „Heylˋschen Garten“ schlendern, deren Rebzeilen er schon in jenen Jahren – allen Widerständen zum Trotz – nach ökologischen Kriterien bewirtschaftete. Und ich, als Praktikant, durfte einige Wochen lang die Mühsal der praktischen Arbeit „im Wingert“ erleben, um nicht zu sagen – durchleiden.
Heute morgen, zwischen zwei Regenschauern, bin ich wieder hier, im Heylˋschen Garten:
Ganz großes emotionales Kino! Danach geht’s zurück zum Hotel, wo ich bereits erwartet werde …:
Ich lasse es mir nicht nehmen, bei der Weiterfahrt über den „Roten Hang“ zu radeln, vorbei am Brudersberg, und mit einem der schönsten Ausblicke des Rheintals gesegnet:
Hier oben hat schon Alexander von Humboldt gestanden, um den Ausblick bis nach Frankfurt(!) zu geniessen – und den Niersteiner Wein zu süppeln. Auch zu sehen von hier oben: Die östlichste Weinbau-Gemarkung des Rheingaus, Hochheim – mein nächstes Ziel:
Um 13 Uhr radelˋ ich direkt vor die Kelterhalle des Weinguts KÜNSTLER, wo an diesem Wochenende die große Frühjahrs-Weinverkostung stattfindet…. in Coronazeiten eine Herausforderung, aber doch machbar: Ich werde eingecheckt, erhalte einen persönlichen Verkostungstisch – und kann mir die gewünschten Weine einschenken lassen. Hans im Paradies, mal wieder. Denn Gunter Künstler (rechts im Foto unten) ist der Wein-Magier der Jetztzeit, kein anderer in Deutschland kann es mit ihm, bzw. seinen Weinen, aufnehmen. Rheingauer Riesling in Vollendung! Mittlerweile sind auch Stephan und Anne-Chris aus Hannover eingetroffen, und Gunter hat einen kleinen Tragekorb mit seinen neuesten Krachern dabei…:
Um 14:30 Uhr verlasse ich das gastfreundliche Haus in beschwingtem Zustand. Durch die Weinberge geht es hinab nach Mainz, und weiter über 50 Kilometer durch das gesamte Rheingau bis zur nordwestlichsten Gemarkung, Lorch.
Zum dortigen Weingut Germersheimer hat unsere Familie schon seit großväterlichen Zeiten „Kontakt“. Und die auf Sylt eintrudelnden Weinkisten durfte ich im Keller des elterlichen Hauses einsortieren. Das Weingut ist heute verpachtet, und der Pächter hat neuen Schwung in die Bude gebracht. Als ich gegen 18 Uhr auf der Matte stehe, kommen gerade drei Musiker, die, wie in einem irischen Pub, alsbald für entspannte Unterhaltung sorgen…:
… und dann kommt Roswitha, 89-jährige Seniorchefin des Weinguts, eeendlich auch von ihrem abendlichen Spaziergang zur gleichaltrigen Nachbarin zurück. Welchˋ eine Freude!
Ein weinseliger Abend steht bevor. Mit guter Musik, intensiven Gesprächen und gutem Wein:
Bislang war auch noch nicht klar, wo ich eigentlich übernachten soll – aber auch das haben wir noch gelöst.