Leuchtende Augen, ein Weinfass – alles schlecht fotografiert… davon gibt’s so einige Fotos von meinem bisherigen Leben. (Der Fleck auf meinem Hemd ist übrigens ein Pilz im Originaldia…). Ich komme drauf, weil ich am Sonntag mit Lars sprach, der kurz auf die Insel kam, um einige Bilder nach Hamburg zu transportieren. Unter anderem ging es um meine Buchvorstellung neulich im Sylt Museum, als Lars anhob…: „Ich muss immer noch über eine Frage nachdenken, die eine Dame aus dem Publikum stellte…“ Worauf ich gleich entgegnete, ich wisse genau, welche er meine. Die sei mir auch erinnerlich, insbesondere, weil ich diese doch nur etwas knapp beantwortet hätte – aus reiner Überforderung, ist es doch nicht ganz leicht, die eigene Gefühlswelt vor mehreren Dekaden mal kurz zu eruieren.
Dank Lars‘ phänomenalem Erinnerungsvermögen kommt hier die wirklich gute Frage noch einmal im Wortlaut:
„Herr Jessel: Wenn Sie auf Ihren künstlerischen Weg zurückblicken: Worin unterscheidet sich die Wahrnehmung des 20-Jährigen vom 40 und 60-Jährigen? Mit Wahrnehmung meine ich Ihren Blick auf die Natur, aber auch Ihre Empfindungen in den jeweiligen Lebens- und Arbeitsphasen?“
Ich gebe im Folgenden ein paar Antworten in Verbindung zu Fotos aus den entsprechenden Jahren.
Ende 1978 kaufte ich mir meine erste Kamera. Damals hatte ich gerade mit meinem Zivildienst bei der Schutzstation Wattenmeer begonnen. Zu meinen Aufgaben zählte es, Vorträge über Sylt und das Wattenmeer zu halten. Dafür brauchte ich Bildmaterial, und das in der Hörnumer Station vorhandene war in einem ziemlich üblen Zustand. Also erwarb ich von meinem ersten „Gehalt“ von 300,- Mark eine Minolta 100X und fing an rumzuknippsen… Nach den Frustjahren während des Agrarwissenschaftsstudiums fühlte ich mich ungeheuer befreit in der Natur und machte alle Fehler, die man als Anfänger nur machen kann, von falschen Bildaufteilungen und -Belichtungen, falscher Fokussierung, völlig vernachlässigter Bildkontrolle bis hin zu dem erhabenen Erlebnis, bei einer grandiosen Stimmung eine ganze Filmrolle verballert zu haben, um im Anschluss festzustellen, daß ich den Film falsch eingelegt hatte und dieser überhaupt nicht transportiert worden war.
Aber ich war besessen, von Anfang an. Die komplett manuelle Bedienung der Kamera gestattete es mir, jeden Fehler nachzuvollziehen – und das tat ich auch, denn ich konnte mich tot ärgern über einmalige Stimmungen, die ich versemmelt hatte. Übrigens arbeite ich bis heute so: Alles grundsätzlich manuell, null Automatik!
18 Monate später hatte ich den ersten Knaller im Kasten. Als das Dia aus der Entwicklung kam, und ich es auf dem Leuchtpult begutachtete, fiel meine Entscheidung, „Ausstellungsfotograf“ zu werden:
Niemandem war es zuvor gelungen, eine Nordseewelle in dieser Art zu fotografieren. Und ich trug die Gewissheit in mir, noch weitere Stimmungsbilder unserer Landschaft in petto zu haben, die auf ihre fotografische Entdeckung nur warteten.
Die Begeisterung für gute Landschaftsfotos empfand ich schon vor Beginn meiner aktiven Laufbahn. Die gerade erschienene Zeitschrift GEO faszinierte mich über alles, insbesondere eine Bildstrecke des Fotografen Heinz Teufel, der als erster zeigte, was die Nordfriesische Landschaft an Dramatik zu bieten hat.
Als meine Zivildienstzeit im Spätsommer 1979 zuende ging, schrieb ich mich für das Geografiestudium in Kiel ein, lebte weiter von Führungen und Vorträgen auf der Insel (jeweils an den Wochenenden) und fraß mich regelrecht durch die Bildbände der Top-Landscaper der Welt: Ansel Adams, Eliott Porter und Joel Meyerowitz wurden meine Vorbilder. Und ich beäugte gaaanz genau das Schaffen von Heinz Teufel, uuund rüstete mich über die Jahre mit professioneller Technik aus.
Damaliges Gefühl: Ich spürte, daß ich fotografisch etwas beizutragen haben würde. Und ich begann zu begreifen, daß es neben der Wissenschaft noch etwas Größeres gibt, wenn es um die Natur geht – die Kunst:
Morgen mehr…