Das wurde heute nichts mit Fotos: Die Sonne müht sich erst am späten Vormittag hinter dichten Wolken hervor und verabschiedet sich kurz nach 13 Uhr, als ich gerade beginne, mir Gedanken zu machen, wo und wie ich sie nutzen könnte.
Egal, ich sitze ohnehin an einem spannenden Buch von SYLVAIN TESSON, einem krassen französischen Weltenbummler, der wirklich vor gar nichts zurückschreckt. Für ihn begann alles mit einer Radtour nach und durch Asien, gefolgt von einer 5.000 Kilometer- Wanderung durch das Himalaya-Gebirge und gekrönt von einer noch längeren Wanderung vom Sibirischen Eismeer bis nach Indien, auf den Spuren geflüchteter Gulag-Häftlinge. Noch Fragen? Daneben ist Herr Tesson Geograf(!) und eine bekennende Trinker-Natur. Letzteres wurde ihm als 40-Jährigem zum Verhängnis, weil er nach einer Party bei einer Fassadenkletterei volltrunken vom 3. Stock abstürzte: „Ich war nachts von der Traufe gestürzt und hart auf dem Boden aufgeschlagen. Acht Meter hatten gereicht, um mir die Rippen, die Wirbel, den Schädel zu brechen. Ich war auf einem Knochenhaufen gelandet und fünfzig Jahre gealtert.“
Es folgt ein monatelanger Krankenhausaufenthalt mit jeder Menge Zeit, sich über das weitere Leben Gedanken zu machen: „Eingegipst im Bett, hatte ich mir nahezu laut geschworen: „Wenn ich jemals hier rauskomme, laufe ich zu Fuß durch Frankreich.“ Ich hatte mir vorgestellt, über steinige Pfade zu wandern! Hatte von Nächten unter freiem Himmel geträumt, davon, mir wie ein Landstreicher meinen Weg zu bahnen. Der Traum verflüchtigte sich jedes Mal, wenn die Tür aufging: Es war Zeit für den Brei.“
Bald nach seiner Entlassung macht er sich, noch arg gehandicapt, auf den Weg. Beginnend in dem kleinen provencalischen Ort TENDE an der italienisch-französischen Grenze steigt er hoch in den Nationalpark MERCANTOUR, um von hier über Stock und Stein möglichst abseits jeglicher Zivilisation – und aufgrund ärztlicher Anordnung komplett alkoholfrei! – über 1.300 Kilometer bis an den Nordzipfel der Normandie zu wandern.
Also die harte Nummer, wie er es stets geliebt hat. Was nun folgt, ist eine packende Tourbeschreibung mit allen Ups and Downs, geschickt verbändelt mit gelegentlicher Selbstkritik und umso mehr Seitenhieben auf die gesellschaftliche Entwicklung des „Westens“ seit der Nachkriegszeit…:
… inklusive, angesichts unzähliger „Privat“-Verbotsschilder selbst in unzugänglichem Terrain, reihenweise nachdenkenswerter Gedankengänge:
“Das Parkinsonsyndrom der Geschichte trug den Namen Globalisierung. Die Übertragung dieses Phänomens in unseren Alltag sorgte dafür, dass wir noch im kleinsten Lebensmittelladen eines randständigen Provinznests tropisches Obst und Gemüse kaufen konnten. Dabei stellt sich die Frage: Warum verfolgte man einen Apfeldieb in einem Obstgarten, und warum gestattete man, dass eine Mango aus Brasilien in einem Lebensmittelgeschäft in der Ardèche thronte? Wo begann der Gesetzesverstoß?“
Klar, dass er auch gegen die Digitalisierung feuert, und zwar aus vollen Rohren. Und da er selbst, statt mit Gugel, mit einem ganzen Stapel 1 : 25.000er – Wanderkarten unterwegs ist, darf er das auch.
Leider habe ich das Buch innerhalb von zwei Tagen durchgelesen, so fesselnd empfand ich es. Der Titel fehlt noch: AUF VERSUNKENEN WEGEN, erschienen im Penguin Verlag.
Die gegenwärtig in den Kinos laufende Verfilmung des Buches mit dem Titel „Auf dem Weg“ kommt zwar filmisch wirklich gut rüber, wirkt jedoch inhaltlich eher flach gegenüber dem Geschriebenen – wie so häufig.
Lieber Hans
vielen Dank für den tollen Buchtipp, bin schon unterwegs zur Buchhandlung.
Gruß aus dem Wendland.
Hartwig
Moin Hartwig, da bist Du genau auf dem richtigen Weg. Bin sicher, dass Dir das Buch gefällt!
Mit Grüßen von der pustigen Insel, Hans