15./16. Juni: Frage an Inselkenner – Wooo ist das!?

Ein stabiles Hochdruckgebiet sorgt für viiieeel Sonne und trockene Luft, mit guter Weitsicht. Ich ratterˋ kreuz und quer über die Insel und erlebe die dollsten Sachen…

Schon mal „Leuchtende Nachtwolken“ gesehen? (Nähere Erklärungen dieses Naturphänomens bitte bei Google nachschlagen…). Diese schwirren in über 80 km Höhe in höheren Atmosphären-Stockwerken herum und bleiben tagsüber stets unsichtbar. In unseren Breiten werden sie – mit Glück – zur Zeit der Sommersonnenwende in den Nachtstunden sichtbar, deshalb dieses Foto vom heutigen Morgen um 2:45 Uhr:

Das fühlt sich an wie im Science Fiction – Film. Zumal, wenn rechterhand zeitgleich der Sichelmond über dem noch im Dunkel liegenden Watt aufgeht:

Danach gleich weiter nach List. Hinter dem Ellenbogen macht sich die Sonne gegen 4:30 Uhr zum Aufgang bereit:

… und taucht die Landschaft des Königshafens in ein atemberaubendes Licht:

Da sehe ich noch ein schönes Motiv zum Thema „Werden und Vergehen“…:

Ich bin heute noch den ganzen Tag geflasht von diesem Waaahnsinns-Morgen. Ein ausgiebiger Mittagsschlaf bringt mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück…

Anfang des Monats schrieb ich einen kurzen Beitrag für ein Sylt-Magazin – der passt zu dem heutigen frühen Morgen:


Sylt – die Insel der langen weißen Nächte

Klar, die eigentliche Mittsommernacht ist die kürzeste des Jahres – nur 6 Stunden und 37 Minuten misst sie, hier oben in der allernördlichsten Ecke Deutschlands, am 55. Breitengrad. Aber die sogenannten „Weißen Nächte“, in denen am Nordhimmel ein heller „Silberstreifen am Horizont“ sichtbar bleibt, sind zwischen Anfang Juni und Mitte Juli ein Besonderheit des tatsächlichen „Echten Nordens“ der Republik. Die Sonne taucht in diesem Zeitraum, um 22 Uhr herum, in einem derart flachen Winkel unter den Horizont, dass sie auch um 1:30 Uhr, zum tiefsten Stand, keine 12 Grad unter diesem steht. Pragmatischer ausgedrückt: Der Beobachter vermag ihre Wanderung anhand der hellsten Stelle oberhalb der Horizontlinie nachzuvollziehen.

Und das ist großes Kino, das sich da abspielt. Meine Ausflüge in die Weißen Nächte zählen zu den Höhepunkten meines Fotojahres, selten komme ich derart geerdet  zurück wie nach diesen Einsätzen. Weil mir nirgendwo so deutlich gezeigt wird, was für ein Zufall – oder besser ein Wunder – unsere Existenz ist, und zwar die Existenz alles Seins: Des Alls, unseres Sonnensystems, des Planeten Erde, dieser Insel, der großartigen Stille, des Lebens – und des Lichts, das da gerade vor meinen Augen Theater spielt. Und wo wir gerade von Theater sprechen: Theaterkritiker Alfred Kerr konstatierte vor genau 100 Jahren: „Nirgends wird Einem der Hauch des Alls so aufs Butterbrot geschmiert wie auf Sylt.“ There we are!

Ehrlich gesagt, den Begriff der „Schöpfung“ benutze ich selten. Aber ich spüre sie in diesen nächtlichen Stunden des Halblichts, und das ist wohl der Grund, warum sogar die Fotografie für mich in dieser Situation gerne zur Nebensache wird. „Die Natur spricht oft am lautesten, wo sie am tiefsten zu schweigen scheint“ zählt zu den Bonmots über Sylt, die ein früher Reisender, Julius Rodenberg, schon kurz nach der Mitte des 19. Jahrhunderts in sein Tagebuch schrieb… was für eine schöne Metapher, die ich hiermit gerne bestätigen möchte.

Hans Jessel, im Juni 2020

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