19. Dezember: The day after

Es ist doch mal eine neue Erfahrung, das morgendliche Müsli mit dem Löffel in der linken Hand zu verspeisen. Beim Haarekämmen mit links wird’s schon schwieriger, und den Versuch, den rechten Arm in einen Hemdsärmel zu manövrieren, ist derart schmerzhaft, dass ich besser weiterhin im Bademantel durch das Haus pilgere. Schnürsenkel binden? Geht nur mit Assistenz der hilfsbereiten Ehefrau. Ebenso das An- und Ausziehen von Hosen.

Wer schon einmal eine Schulterprellung durchlitten hat, wird mir applaudieren, dass ich immerhin ein knappes Stündchen in der Nacht schlafen konnte, trotz Ibuprofen 600. Die Schmerzen sind in allen Schlafpositionen präsent, mal mehr, mal weniger.

Und dennoch stehe ich auf mit einem tiefen Gefühl der Dankbarkeit. Es ist nichts gebrochen, es sind keine Muskeln, Bänder oder Kapseln gerissen… Und ich wohne in einem geräumigen Haus, dessen Innentemperatur wir zwar zur Zeit auf 17 Grad gedrosselt haben, das aber heimelig ist und nicht von einem Durchgeknallten mit Raketen und Drohnen beschossen wird, bei fehlendem Strom, mangelndem Wasser – und frostigen Innentemperaturen.

Und ich konnte die schlaflose Nacht nutzen, das 720 Seiten-Südsee-Buch von Paul Theroux zuende zu lesen, das beste Reisebuch (zeitgenössischer Autoren), das ich bislang geniessen durfte: Kompetent geschrieben, kurzweilig im Ablauf, ideenreich, originell und witzig (allein die Idee, ein Klepper-Faltboot im Reisegepäck mit sich zu führen, und dieses sogar für -zig Touren von Insel zu Insel zu nutzen!). An den rechten Stellen entlarvt Theroux mit messerscharfem Sarkasmus die Dysfunktionen von Gesellschaften offen und ehrlich – das ist schon großes Literatur-Kino. Und zwar von der ersten bis zur letzten Seite. Wer selbst gerne reist, kann aus diesem Buch eine Menge lernen und eigenen Reisen mehr Würze verleihen. Ich will es – ansatzweise – versuchen, und werde hier im Blog berichten – bereits im Januar 2023, auf der ersten von mehreren projektierten Reisen im kommenden Jahr:

Wenn ich in diesen Tagen an die armen Menschen in der Ukraine denke, kommen mir auch die Erzählungen meines Vaters in Erinnerung, die er – als Arzt – von seiner sieben Jahre dauernden russischen Kriegsgefangenschaft  mit nach Hause brachte. Zum Beispiel faszinierte mich schon als Kind diese hier: Hat man eine schmerzhafte Verletzung (zum Beispiel im Knie) und bekommt eine noch schmerzhaftere Verletzung (zum Beispiel in der Schulter) dazu, dann ist von der erstgenannten Verletzung nichts mehr zu spüren.
So ergeht es mir gerade: Seit nunmehr fünfzig Tagen schmerzt mein verletztes rechtes Knie bei Belastung, zum Beispiel beim Treppensteigen. Direkt nach dem „Unfall“ ging’s gar nicht, bis vorgestern musste ich stets ein Geländer benutzen, um mich an diesem hochzuziehen… und heute? Konnte ich die Himmelsleiter im Süden Westerlands im Laufschritt(!) nach oben sprinten, ohne jeglichen Schmerz (im Knie). Auch Stunden danach: Wehweh ausschließlich in der Schulter. DAS ist doch mal eine gute (und verblüffende) Nachricht, oder?

Nachtrag: Die letzte Ibuprofen nahm ich heute früh. Deren Wirkung war bis zum Mittag abgeklungen… die Himmelsleiter erklomm ich um 15:30 Uhr.

Kommentare (2)

  1. Frank Jesse

    Lieber Hans,
    zunächst mal gute Besserung!
    Wie und wo hast Du Unglücksvogel 2022 Dir die Schulterprellung zugezogen…?
    Ich bin Silke wird Dich mit großer Freude pflegen und hoffe das Dir bald besser geht!
    Auch ich hatte solche Probleme schon, jedoch nicht ganz so heftige Schmerzen.
    Liebe Grüße aus Köln
    Frank

    • Hans Jessel

      Moin Frank, danke Dir Auf dem Radweg entlang des Flughafen-Golfplatzes. Am Anfang und am Ende war der Weh eisfrei, aber in der Senke war’s spiegelglatt. Das wäre auch noch ok gewesen, aber unterm Schneepuder befand sich eine Trecker-Spurrille. Die hat mich umgehauen.

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