Viele meiner Landschafts-Exkursionen in diesen Monaten haben sehr konkrete Ziele. Es geht darum, für die projektierte September-Ausstellung mit Lars Wiggert die wesentlichen „Ur“-Landschaftsformen der Insel in ausstellungswürdiger Art und Weise abzubilden. Und mein malender Antipode durchlebt zur Zeit ganz offensichtlich eine kreative Phase – nahezu im Tagestakt trudeln fertige Ölgemälde auf meinem Bildschirm ein… dazu haben wir uns vorgenommen, die Bildproduktion bis zum Frühsommer abgeschlossen zu haben, um die Ergebnisse noch in einem Katalog zu verbraten, der – logo – vor Ausstellungsbeginn fertig sein soll. Der Druck im Kessel steigt also.
Wie passend, dass es am gestrigen 19. März einen ultra-sonnigen Seewindtag gibt, mit schwächelnden Winden zum Abend hin. Und die hohen Hochwasser während der stürmischen Tage bis zum Montag haben die Priele gut geflutet, in List stand gar die komplette Marsch einen guten halben Meter unter Wasser.
Unsere Landschaft ist seit prähistorischen Zeiten von Prielen durchzogen gewesen. Abbrechendes Material von den höheren Geestrücken wurde durch Strömungen in flachen Schwemmländern, den sogenannten Marschen, aufeinander geschichtet. Und bei jeder höheren Flut kamen neue Sedimente dazu, so dass diese Marschen das Kunststück vollbrachten, dem stetig steigenden Meeresspiegel durch eigenes Höhenwachstum Paroli zu bieten. Millimeter bis Zentimeter pro Jahr, je nach Anzahl der Sturmfluten – aber immerhin: Genug zum Überleben.
Diese Schichten sind an Prielrändern besonders gut zu sehen, und es wohnt dem Höhenwachstum einerseits und dem Abbruch andererseits eine – gefühlt – tiefe Landschaftsdramatik inne. Ich wünsche mir beim Betrachten des Ist-Zustandes nur allzu gerne kleine Zeitreisen in Vergangenheit und Zukunft dieses dynamischen Geschehens, um das Werden und Vergehen endlich besser zu verstehen, muss mich jedoch damit begnügen, allein das heutige Antlitz abzubilden.
Größter Feind der so zauberhaft mäandrierenden Marschenpriele sind Eindeichungen. Der Nössekoog südlich der Ortschaften Westerland, Tinnum, Keitum, Archsum und Morsum ist ein beredtes Beispiel dafür. Der natürlichen Auflandung ledig, ohne Anschluss an Meer und Gezeiten, dümpeln traurige Restpriele durch die versüßende Marsch, die nun vom Regenwasser zehren müssen und – ihrer ursächlichen Erzeuger und Erhalter beraubt – eine gänzlich undramatische Rolle einnehmen in der sich entwässernden Nutzlandschaft, der sie nun angehören (müssen).
Erstaunlich wenige Menschen wissen, was für einen kleinen Schatz an „lebenden“ Marschenprielen wir auf Sylt noch besitzen. Die Eindeichungen der zurück liegenden Jahrhunderte haben – landesweit – für tabula rasa unter diesen selten gewordenen Naturschönheiten gesorgt.