… kriegt das Foto. Habt Ihr ihn gefunden? Ich darf – bei aller Bescheidenheit – vermerken, dass ich noch nie(!) in den über 40 Jahren meiner freiberuflichen Fotografenlaufbahn derart konzentriert arbeiten konnte wie jetzt. Ich gehe abends ins Bett und weiß zu diesem Zeitpunkt längst, wann und wo ich am nächsten sehr frühen Morgen zu erscheinen habe, um zu meinem erwünschten Foto zu kommen. Bei gnadenlosen Sonnen-Wetterlagen wie in diesen Tagen sehe ich dieses, recht detailgetreu, schon vor meinem geistigen Auge, wenn ich diese am Abend schließe.
Die bildentscheidende Phase spielt sich dann im Dunkel der endenden Nacht ab: Egal, ob mit Fahrrad oder Bus unterwegs, entscheidet allein mein Bauchgefühl, welche Location ich ansteuere. Heute früh stoppe ich den Busfahrer aber echt im allerletzten Moment, und gehe ein hohes Risiko dabei ein: Wenn ich dieses Foto versemmelˋ, und dafür stehen die Chancen nicht schlecht, ist der Foto-Morgen vergeigt. Denn von diesem Ort erreiche ich keinen der anderen mehr zur rechten Zeit. Mein Wunschfoto zählt zu denen, die ich seit über einem Jahr verfolge. Heute früh könnte es soweit sein, die Nerven halten die Spannung aus.
Ich springe aus dem Bus und habe noch einen strammen Kilometer mit schwerem Gepäck durch holpriges Terrain vor mir. Es eilt. Der Holzsteg ist gefroren, die Sonne beginnt, ein schmales Wolkenband über dem östlichen Horizont zu überklimmen. Hechelnd erreiche ich die Plattform, baue das Stativ auf, arretiere meine schwerste Knipse, prüfe mehrmals alle Einstellungen – und löse aus. Fühlt sich so eine Geburt an? Wohl nicht. Denn dies ist ein Moment schmerzlosesten Glücks in purester Form: DAS Bild ist im Kasten! „Waaaah, ich hab’s!“ Meeres-Insel-Sehnsucht, so schmerzhaft endlos:
Die Insel ist zum Verlieben in diesen Tagen. Hohl-Ebbe vom Feinsten, eine Sicht wie mit dem Messer geschnitten, spielend kontrollierbare Bedingungen. Und noch nie kannte ich Sylt so gut wie heute:
Als ich im Jahr 1978 mit dem Fotografieren begann, war das mit vielen Träumen verbunden, und einer völlig unumkehrbaren Zuversicht, dieser Eine von den Tausend zu sein, der es schaffen wird, diesen Traum zu leben. Nun bin ich in der allerschönsten Phase meines Schaffens angekommen… :
… und werde doch immer wieder überrascht, denn diese alte Steinbuhne aus den 1880er Jahren hatte sich mir bislang noch nie gezeigt, war sie doch jahrzehntelang unter dem Sand begraben. Ich gönne ihr einen Hauch von Morgensonne, bevor ich auslöse:
Und die Belohnung? Ein Foto-freier Abend! Kochen ist angesagt, und ein schmelziger Chardonnay funkelt im Glas.