Rückreise nach Sylt

Jajaja – ich komm`ja schon! Bin aufm Rückweg nach Sylt und sitze in einem der „charmanten“ (Lieblingsattribut Sylter Immobilienmakler für – eigentlich – unverkäufliche Schrottklitschen) 70er Jahre Waggons der DB… und versuche, nach draußen zu blicken. DAS gelingt eher nicht. Dafür werde ich aufmerksam auf einen Schriftbeitrag aus dem „wirklich wahren Leben“, der nicht ohne Könnerschaft – immerhin spiegelverkehrt – auf die verkleisterte Außenscheibe gemalt wurde. Die Schreibweise – PENIZ – lässt mich zunächst eine weitere türkisch-muslimische Attacke auf unsere freiheitlich-demokratischen Grundwerte befürchten…, hinter Husum neige ich nun eher zu der Vermutung, dass die Umdrehung eines `S` dem unbekannten Künstler aus uns unbekannten Gründen leider misslang. Egal.

Niemanden wird es überraschen, dass das Herz des Bloggers bei der Anreise nach Sylt mit jedem absolvierten Bahnkilometer höher schlägt. Es gibt ja, über die Jahrhunderte gesammelt und in jedem Reiseführer, jeder Touristen-Gazette und sogar literarisch anspruchsvolleren Sylt-Annäherungen x-fach verbraten, die anrührendsten Ergüsse über von Sylt-Freunden durchlebte Aufwallungen bei der Annäherung an die Insel. Diese sollen hier nicht wiederholt werden. Stellvertretend sei ein Blick auf die vergleichsweise minder interessierten Mitreisenden erlaubt:

Nun ist dieser Blog noch keine Woche alt, da sammeln sich bereits einige mitteilungswerte Erlebnisse, die ich am besten mal in zeitlicher Abfolge an Euch weiter reiche:

Größeren Wirbel veranstaltete mein Selbstportrait neben dem Morsumer Reetbult, insbesondere als dieses zur Ankündigung des Blogs im Titel auf der “Sylter Rundschau” erschien. Hierbei interessierte meine Anwesenheit weniger, vielmehr konstatierten einige Kommentatoren, dass die Morsumer Biike aber auch nicht mehr das sei, was sie früher mal gewesen war.

Als ich am 18. Februar den Westerländer Hinterhof fotografiere (Wohnungen(1)), erscheint wie aus dem Nichts ein älterer Herr in urban-modischem Outfit, blickt sichtbar angefasst auf mein angestrengtes Treiben mit Stativ und Shift-Objektiv, kommt Schritt für Schritt näher, beginnt schließlich mit den Armen zu fuchteln, als wolle er mir einen Weg beschreiben. Schließlich sein Wortbeitrag in geschliffenem Berlinisch-Neukölln’scher Dialekt: “Wenn Sie den Sonnenuntergang fotografieren wollen, müssen Sie daaa längs gehen!” Und seine herumwirbelnden Arme versuchen mir den Weg zum Strand zu erläutern, hinaus aus dem urbanen Großstadt-Dschungel dieses Westerländer Kleinods.

Mein Magen knurrt, als ich beim fotografischen Herumstreifen in Westerlands City durch das Fenster eines Fischgeschäfts auf einige frisch geräucherte Bücklinge blicke. Die machen mich schwach. Ich also rein: “Können Sie mir einen großen oder zwei kleine Bücklinge einpacken?” frage ich einen Angestellten. Die Antwort kommt prompt: “Die sind alle gleich groß!” Der gedrungene, aufgrund fortgeschrittenen Haarausfalls nicht mehr ganz jugendlich aussehende Verkäufer blickt ostentativ zum Fenster hinaus, obwohl mittlerweile die rabenschwarze Nacht durch Westerlands Straßen wabert – und demzufolge dort draußen durch das grell erleuchtete Auslagenfenster nichts mehr zu erkennen ist. Ich blicke unterdes auf 25 geräucherte Bücklinge herunter, die sich wie eine Bückling-Großfamilie – vom Kleinkind bis zum Greis, vom Jung-Astheniker bis zum adipösen Großneffen –  also in allen biologisch darstellbaren Größen mit anderen Worten, weiterhin frisch geräuchert in der Beleuchtung räkeln.

Ich überlege kurz, ob ich dieser offenkundigen Frechheit mit einem beherzten Pöbel-Anfall entgegen treten sollte, zumal die anderen Kunden im Laden dieses problemlos als Urlaubshöhepunkt verbuchen könnten, hätten sie doch “das wirklich wahre Sylt” kennen gelernt, wie es in diesem Blog großspurig versprochen wurde.

Da höre ich überraschend eine Innere Stimme, die mir zuraunt, dass dieser arme Kerl von Verkäufer heute morgen aufgrund der grassierenden Zugausfälle mit reichlich zweistündiger Verspätung im Laden erschienen sei, worauf er seinen Anranzer des Tages, inklusive Niedrigstlohn-Kürzung, schon längst genossen hätte. Die Innere Stimme berichtet mir weiter, dass die abgängige Ehefrau des Verkäufers heute morgen nicht nur dessen Brille während eines Zwistes zertreten, sondern ihm im anschließenden Handgemenge auch noch eines Büschels seiner Restbehaarung beraubt hätte, um daraufhin wutschnaubend und “für immer” zu entschwinden – mit dem entrissenen Andenken noch in Händen.

Und hinter vorgehaltener Hand erzählt mir meine Innere Stimme zu guter Letzt, dass unser Delinquent nach Verlassen des Hauses hinter sich einen lauten Knall vernommen hätte. Trotz des Versprechens nämlich, niemals wieder zurück zu kehren, sei dieses Luder kurz entschlossen ins Haus zurück gekehrt und hätte seinen Lieblings-Guppy (Poecilia reticulata) im Aquarium erschossen.

Wisst Ihr was, Freunde? Ich bin ja kein Unmensch. Deshalb habe ich des Unglücklichen Hand zum rechten Bückling geführt, meine € 1,10 ohne weitere Provokationen bezahlt, und bin meines Weges – Richtung nach Hause also – gezogen.

Kommentare (2)

  1. Michael Holfelder

    Sie können ja weit mehr als nur Bilder – sehr schöner Text!

  2. Dietmar Bauckhage

    Köstlich! Man soll ja nicht vergleichen, aber in mir wurden gerade die Namen Kishon und Watzlawick aufgerufen.

    Danke für den Abendschmunzler!

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