14. November: Die 90er Jahre…

Nun ging es fotografisch in die Eisen. Bevor ich weiterschreibe, eben noch das definitiv erste Foto meiner Laufbahn, aufgenommen im Zug von Hamburg (wo ich mir die Knippse bei Foto-Wiesenhavern gekauft hatte) nach Sylt:

Es galt, dass ich mich – meinen Vorbildern gemäß – ausrüstete. Nur das Beste. Jeder übriggebliebene Pfennig wurde in Fotoapparate investiert. Typische Szene: Ich erzählte Silke, dass ich gerade „das Geschäft meines Lebens“ gemacht hätte. Silke mutmaßte natürlich, dass ich just einem Millionär ein Bild für mindestens Zehntausend Mark verkauft hätte. Oder zumindest Ähnliches. Nein, ganz im Gegenteil, ich hatte Kurt Struve gerade seine komplette Hasselblad-Ausrüstung abgekauft, eben für diesen Betrag. Ein Schnäppchen, sach‘ ich!

Insbesondere die Großformatfotografie (heutiges Titelbild) entpuppte sich im Meeresumfeld als ein hartes Geschäft, für Mann (die Schlepperei!) und Material (der Sand- und Salzflug). Als ganz lohnend entwickelte sich der Erwerb der Linhof Technorama für Aufnahmen im Format 6/17cm. Eines meiner bekanntesten Bilder, die „Fünf Strandkörbe“ verkaufte sich über eine Agentur weltweit so häufig, dass ich mir (peinlicherweise) einen Mercedes kaufte. Und DAS erzählt Ihr jetzt bitte Keinem weiter! Danke!
Die Firma Leica stellte mir Objektiv-Prototypen zur Verfügung, die ich auf Sylt einem Härtetest unterzog:

In keinem Jahrzehnt meines Lebens war ich soviel auf Reisen wie in den 1990er Jahren: Ein Reiseführer über Madeira kam hinzu, außerdem diverse Bildbände über deutsche Bundesländer im Ellert & Richter Verlag. Und es begannen meine Einsätze als Fotolektor auf Kreuzfahrtschiffen. Meine erste Tour: Eine Gala-Kreuzfahrt durch die Ägäis auf der Royal Viking Queen. Das war damals so ungefähr das teuerste Schiff der Welt (für die Passagiere): Handverlesene Menschen, die schon mindestens 50 Kreuzfahrten unternommen hatten, und der gesamte Vorstand meines Arbeitgebers Hanseatic Tours an Bord. Nun galt es, die besten Vorträge meines Lebens zu halten, soviel war klar. Aber wer vor 200 Kindern im Alter zwischen 10 und 18 Jahren nicht untergegangen war (in Zivildienstzeiten im Ferienheim Puan Klent), der konnte auch 150 Millionäre begeistern. Ab sofort ging es weltweit auf Tour, 3-4 Einsätze à 14 Tage pro Jahr:

Meine Position als Lektor war perfekt. Zum Einen besaß ich Passagierstatus, zum Anderen war ich aber auch Member der Crew. Die Abfahrt im Schlauchboot vom San Blas – Archipel vorm Panamakanal (links der Kapitän der Hanseatic) spricht eigentlich Bände, was die Stimmung anbelangte:

Zwischen Spitzbergen…:

… und tropischen Regionen (hier nach einem Hurrikan auf Sint Maarten)…:

… erlebte ich das Meer und die Küsten in großen Teilen der Welt. Und wenn ich danach nach Hause kam, konnte ich die Schönheit unserer Insellandschaft zunehmend besser einordnen, insbesondere die Alleinstellungsmerkmale Sylts klarer erkennen und fotografieren:

Allerdings blieb ich auch geschockt und erschüttert zurück: Wenn soviel geballter Reichtum auf soviel gottserbärmliche Armut trifft – Armut, die von uns reichen Ländern weiterhin so schamlos (aus-)genutzt wird! – ist das eine Schande. Das wurde mir, trotz aller schönen Momente und Erlebnisse, mit den Jahren immer bewusster.

Und noch etwas wurde mir klar: Als weltreisender Fotograf und Autor ist es doppelt und dreifach schwer, an wirklich herausragende Aufnahmen zu kommen – was ja mein primäres Anliegen war und ist. Der Traum, daß Tropen und Eismeer per se bessere Aufnahmen böten, war ausgeträumt. Egal wo man gerade ist auf der Welt, bedürfen hochklassige Fotos eines langen und beharrlichen Einsatzes. Und damit wollte ich nun mit der Jahrtausendwende vor meiner heimischen Haustür beginnen:

Kommentare (2)

  1. Frank Jesse

    Lieber Hans,
    wow, sehr sehr interessante Geschichten die Du da erlebt hast! Bin auf die Fortsetzung gespannt.
    Cool das erste Bild im Selbstporträt, mein Lieblingsbild bleibt von Dir „die Welle“, hier am 14.11.das vorletzte die traumhafte unberührte Dünenlandschaft mit dem grandiosen Himmel…—
    Liebe Grüße
    Frank (Jessel ohne „l“)

    • Hans Jessel

      Lieber Frank ohne „l“, ich hoffe, Dein Kommentar ist jetzt dauerhaft sichtbar. Danke Dir dafür!

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